"Erfahrungsbericht Sommer 2003"

Lampedusa - afrikanisch-sizilianische Insel in "hoher Sonne"
alternativ
Lampedusa - afrikanisch-sizilianische Insel in der Mitte von Nichts


"Dies ist Afrika", behauptet Beppe, der immer lächelnde 45-Jährige mit dem Aussehen eines Späthippies. Auf Lampedusa geboren, war er zwischendurch 15 Jahren Bankangestellter in Rom und kehrte dann in seine Heimat und in seinen Beruf als Bootsbauer zurück. Heute gebührt ihm der Titel Maestro d'Ascia. In seiner vollkommen runter gekommenen Werkstatt direkt am alten Hafen - es ist die Rede von Abriss und Neubau eines Hotels - liegt kopfüber ein meisterlich-gewissenhaft konzipierter und konstruierter Rohling aus Bohlen, Brettern und Leisten. In den nächsten Wochen wird dieser peu-a-peu mit Kunstharz, Glasfaser und anderen Materialien überzogen, bis im Frühjahr das erste, etwa sieben mal zwei Meter große Kunststoff-Segelboot davon abgehoben wird, der Prototyp für möglicher Weise x-beliebig viele weitere. Diesen Erstling übernimmt dann als drittes Schulungsschiff das Centro Vela Lampedusa, die Segelschule des italienischen Segelverbandes (Federazione Italiana Vela, kurz FIV), in dem wir untergebracht sind. Von "Chef" Paolo werden wir neben nur einem weiteren Gast und Freund, Gianluca aus Turin, betreut und verwöhnt. Anders als bei Anderen sind neben Kost & Logis noch Insel-, Bade-, Angel- und Segelausflüge und 'Familienanschluss' für den windliebenden Tausendsassa eine Selbstverständ-lichkeit. In nur einer Woche lachen und erfahren wir hautnah mehr, als sonst in einem Monat!

Das Lampedusa Afrika oder wenigstens afrikanisch sei, meinte Beppe nicht nur in geologischer Hinsicht, obwohl die größte der drei pelagischen Inseln - es gehören noch Linosa mit rund 270 Einwohnern und das unbewohnte Lampione dazu, alles Teil der sizilianischen Provinz Agrigent - nur etwa 140 km nordöstlich von Tunesien, aber fast 200 km nach Süden von Sizilien entfernt ist. Gelegentlich ist auch von den "italienischen Tropen" die Rede, trotzdem blieb die Insel vom ausufernden Tourismus verschont.

Gerade mal 20,2 Quadratkilometer, über den sprichwörtlichen Daumen zehn mal zwei Kilometer groß, bietet Lampedusa - die Namensherkunft ist umstritten, könnte aber aus dem griechischen kommende "Insel in hoher Sonne" bedeuten - Platz für an die 4.500 Einwohner, die sich in der Sommersaison vorübergehend durch Touristen auf das fünf- bis achtfache 'vermehren' können. Je nach dem wie der Widerstreit zwischen subpolarer Tiefdruck- und subtropischer Hochdrucklage ausgeht, ist es je nach Windstärke und
-richtung - wenigstens von März/April bis November - warm und trocken; Regen fällt durchschnittlich seltener als einmal im Monat. Die karge aber faszinierende Vegetation erinnert an Nordafrika.

An der Nordküste türmen sich steile Felsen und Klippen bis zu 70 Meter aus dem - überall - glasklaren Wasser, an der Südseite findet man kleinere Felsen, tiefe, hie und da sandige, fast karibische Badebuchten und einsame Grotten und eine "Kaninchen-Insel".

Die Männer fahren zur See, viele Frauen arbeiten in Fischkonservenfabriken und viele andere Lampedusani sind in der Tourismusbranche beschäftigt. Bleiben die, die mit Mopeds, Motorrollern oder in über 20 Jahre alten Meharis, den Geländewagen mit dem Motor und dem Fahrgestell der legendären Citroen 2CV-"Ente", ihre kurzen Spritztouren unternehmen.

Bereits früh morgens - es ist noch kühl - diskutieren die Senioren auf Bänken und Mauern und tun so eifrig nichts, wie am Abend - es hat sich noch nicht wieder abgekühlt - die Insel-Teenies über die Via Roma stolzieren, dem Zentrum von allem. Alles, was nicht aus dem Meer kommt - davon bieten viele Restaurants, Trattorien und Laconden einen Gaumen beigeisternden Eindruck! - kommt über das Meer! Vom Anzug bis zur Zitrone, mit der Fähre von Hafen Empedolce in Agrigent/Sizilien, ein- bis zweimal täglich. Sind es im Winter gelegentlich nur ein Hin- und Rückflug pro Tag von und nach Palermo - dazwischen ist das Mini-Terminal buchstäblich direkt über dem eigentlich Städtchen auf Lampedusa geschlossen -, landen in der Hochsaison schon mal über zwanzig Flieger (AirOne, Volare oder Meridiana), hauptsächlich aus Rom und Mailand.

Unterstützung bekommt das Eiland von der Regierung in Rom durch kostenloses Wasser, das mit einem Tankschiff gebracht wird, kostenlosen, Generator produzierten Strom und steuerfreies Benzin. Erst 2001 bekam die Insel die ersten zwei bis drei duzend, allerdings bis heute wenig beachteten Verkehrsschilder. Ein Kataster wurde angeblich noch nie geführt und so wird auch ge- und verbaut.

Lampedusa ist vielen auch als Schildkröten-Insel bekannt (Isola di Tortuga). Ideal sind die Bedingungen für die riesigen Wasserschildkröten ihre Eier im heißen Sand abzulegen um sofort die Brut sich selbst zu überlassen. Doch auch diese gepanzerten Ur-Reptilen haben Ihre Probleme mit menschgemachten Umwelteinflüssen. Kein Wunder also, dass sich an der Cala Creta im Osten der Instel eine Scharr von Freiwilligen Tierschützern in einer ehemaligen Freiluft-Bar mit Wasserbecken und einem Mini-Museum niedergelassen haben Hier werden die Schildkröten von Angelhaken, Plastiktüten und anderem befreit und aufgepeppelt. Bevor Sie wieder im Meer ausgesetzt werden, hat man sie mit einer Registrierungsnummer als Metallklammer versehen. Wer weiß, ob, wann und wo diese wieder auftauchen?

Wohl auch weit er Inseldialekt spricht, war es der schon erwähnte Beppe höchstpersönlich, bürgerlich natürlich Giuseppe, also Josef, der im Frühjahr 2002 im Kinofilm "Lampedusa" in einer kurzen Sequenz den Pfarrer mimt, einem Film über die stürmische und unberechenbare Grazia, Ehefrau und Mutter von drei Kindern, mit der wunderbaren Valeria Golino der Hauptrolle. Beppes Gage reichte just für eine neue Lederweste an seiner stolzen Brust, der Film gereichte dem Publikum beim Filmfestival in Cannes zu der begehrten Auszeichnung als "bester Film". In Italien zu sehen unter dem Titel "Respiro" (Atem), hierzulande "Lampedusa" und im Rest der Welt unter "Grazia's Island".

Lampedusa - das Wort erinnert doch an was? Vielleicht an tragische Flüchtlingsreportagen, die von Zeit zu Zeit in den Medien auftauchen und gewisse Politiker zu monotonen Statements veranlassen, sofern zufällig eine TV-Kamera in der Nähe ist, in die sie sprechen dürfen oder die sie dazu nötigen. Das Ausmaß der ganzen Katastrophe erscheint ungleich größer, niemand wird je konkret wissen, wie viele hauptsächlich afrikanische Flüchtlinge den Versuch machten oder noch machen werden, Lampedusa, also Italien, also Schengen-Europa zu erreichen und wie viele gekentert, verdurstet oder verhungert sind, von ihren Schleppern im Stich gelassen wurden, die mit dieser Art Menschhandeln angeblich so gut verdienen wie Drogenhändler.


Autoren:
Susanne Spicker & Erhard Stumpe
post@spickerstumpe.de
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